Es war einmal ein Mann, der liebte Steine. Überall
wo er war, suchte er sich große, schöne Steine aus, schleppte sie
oder rollte sie bis zu seinem Auto, erschuf Hebel und andere
Konstruktionen, um sie hinein zu hieven und wenn er sie zuhause hatte
– in seinem Garten – gestaltete er damit Beete und Teiche und
hatte seine wahre Freude an ihnen. Seine Frau pflanzte dann Pflanzen,
doch im nächsten Jahr hatte der Steinesammler neue Ideen, brachte
neue Steine und das Spiel begann von vorn. Irgendwann verlor die Frau
die Lust, immer wieder ein paar Pflanzen zu retten und neue hinzu zu
kaufen und gab es auf, die Beete mit Pflanzen zu füllen und so
wurden sie mit Unkraut überwuchert, bis man die Steine nicht mehr
sah und als der Garten voller Steine war, verlor auch der
Steinesammler die Lust an diesem Garten.
Der Steinesammler suchte sich eine neue
Herausforderung. Er kaufte ein dreihundert Jahre altes Haus, in dem
schon Steine der alten Burg eingebaut waren, klopfte Schächte und
baute, alle schönen Steine sammelte er im neuen riesigen Garten,
schaffte die Steine des alten Hauses auch herbei, soweit dies noch
möglich war und türmte auch sie auf, damit er später, wenn das
Haus fertig wäre, den Garten gestalten könne.
Doch dann, ein Zimmer des Hauses war gerade
fertig, wurde der Steinesammler schwer krank und nach einem halben
Jahr war er gestorben.
Zu seiner Beerdigung sammelte seine Frau
Kieselsteine, wusch sie und schrieb den Namen des Steinesammlers
darauf.
Jeder Gast durfte sich zum Abschied einen Stein
mitnehmen zum Gedenken an den Steinesammler.
Einen großen Stein bemalte die Frau und legte ihn
in den Garten des Hospizes, wo der Steinesammler gestorben war.
Und die zwei schönsten Steine des alten Gartens,
extra vom Vesuv herbei geschafft, ließ sie von den Söhnen auf das
Grab legen. So dass jeder wusste, dass hier der Steinesammler ruht.
Vulkansteine, aus der Tiefe der Erde
hervorgeschleuderte Lava, durchs Feuer gegangene Ewigkeit – sie
sind nun das, was vom Steinesammler geblieben ist.
Inzwischen sind anderthalb Jahre vergangen, das
Haus ist ziemlich fertig, doch die Steine warten noch immer auf eine
neue Aufgabe. Wollen sie ein Brunnen werden, oder ein Labyrinth?
Bisher hatte die Frau nicht den Mut und die Kraft,
auch nicht die Muße, die Steine zu fragen, was sie eigentlich werden
wollten.
Heute nun ist sie durch ein Labyrinth aus Steinen
gegangen, ähnlich dem, von dem sie schon lange in ihrem Garten
träumt, wurde von einem lachenden Stein gefunden, hat ein
Steinritual mitgemacht, elf weitere Steine kennengelernt und durch
einen sprechenden Stein mit einem Mund gelernt, dass jeder Stein ein
Gesicht hat und sprechen kann. Als ihr Stein am Ende des Rituals zu
ihr zurückkehrte, hörte sie sein schallendes Lachen und sah seinen
fröhlichen Mund. In diesem Moment hat die Frau gewusst, was zu tun
ist: sie vertraut darauf, dass der lachende Stein ihr den Weg weisen
wird, den Weg in ein neues Leben voller Lachen und voller neuer und alter Steine.
An Allerheiligen geschrieben, in Gedenken an meinen lieben Mann, den Steinesammler, gestorben mit 49 Jahren und 11 Tagen, am 5.2.2013
An Allerheiligen geschrieben, in Gedenken an meinen lieben Mann, den Steinesammler, gestorben mit 49 Jahren und 11 Tagen, am 5.2.2013